Humboldt-Universität zu Berlin - Zentralinstitut für Katholische Theologie (IKT)

Forschung

Wer Praktische Theologie betreibt, begibt sich auf ein Abenteuer inmitten verwickelter Gegenwarten und sieht sich dabei einer schier unüberblickbaren Vielzahl an Lebensrealitäten und Praktiken ebenso gegenüber wie vielfältigen und verflochtenen theologischen Traditionen. Klingt komplex, ist es manchmal auch – dafür aber immer spannend und vielfach überraschend.

Die Praktische Theologie als Fach setzt sich aus mehreren theologischen Disziplinen zusammen: Pastoraltheologie, Religionspädagogik, Liturgiewissenschaften, Kirchenrecht, Pastoralsoziologie und Pastoralpsychologie. All diese theologischen Disziplinen haben je eigene Fachdiskurse und Forschungsmethoden ausgebildet. Daneben ist die Praktische Theologie seit ihrer Gründung im interdisziplinären Gespräch mit anderen am Menschen interessierten Wissenschaften, aktuell v.a. den Human- Sozial- und Kulturwissenschaften sowie der Pädagogik. Praktische Theologie kann heute nur mehr im engen Austausch mit der Soziologie, der Anthropologie, den Kulturwissenschaften, der allgemeinen Pädagogik, den Ritual Studies, der Politikwissenschaft und weiteren akademischen Disziplinen gelingen.

 

Im Anschluss an die Feststellung der Konzilsväter in Gaudium et Spes gibt es „nichts wahrhaft Menschliches“ das nicht zum Thema der Praktischen Theologie werden kann. Das alles kann ein Lehrstuhl natürlich nicht bearbeiten, deshalb konzentrieren wir uns auf folgende Forschungsbereiche:

 

  • Theologische Ambiguitätsforschung, theologische Anthropologie und Ambivalenzkompetenz

„Gewissheiten sind nicht mehr als Hypothesen, Geschichten nicht mehr als Konstruktionen, Wahrheiten nicht mehr als zeitweilige Stationen auf einem Weg, der immer nach vorne drängt, aber niemals endet.“ (Bauman: Moderne und Ambivalenz 2005, 284.) Mit diesen Worten des Soziologen Zygmunt Bauman lässt sich das Lebensgefühl des postmodernen Menschen treffend zusammenfassen. Begriffe wie Ambivalenz, Ambiguität, Kontingenz und Liquidität avancieren zu Leitbegriffen der Gegenwartsanalyse. Sie bleiben dabei aber nicht Teil eines intellektuellen Diskurses, sondern sind im Alltag der westlichen Zivilisation angekommen. Zugleich konstatiert Thomas Bauer einen Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt sowie die Tendenz zur „Vereindeutigung der Welt“ (Bauer Die Vereindeutigung der Welt 2018), beginnend bei der Tier- und Pflanzenwelt über die Reduktion im Bereich der Sprache bis hin zur Kultur und Gesellschaft: neue Formen des „Regroundings“, ein Zug zum „Neotribalismus“ und national-autoritäre Populismen inklusive der je eigenen Identitätspolitiken und Othering-Prozesse seien hier nur als Beispiele genannt. Die Gegenwart ist also in sich selbst ambig, d. h. mehrdeutig und ambivalent. Und die daraus entstehende Aufgabe ist der einzelnen Person übereignet. Von jeder und jedem Einzelnen wird in sich steigerndem Maße Ambiguitätstoleranz gefordert und entgegen allzu pessimistischen Gegenwarts- und Kulturprognosen lassen sich gegenwärtig unterschiedliche Praktiken der Ambiguitätsbearbeitung entdecken, die Menschen befähigen, auch in höchst ambigen und uneindeutigen Situationen handlungsfähig zu bleiben und diese mitunter auch produktiv zu nützen. Gerade die letzten Jahre im Schatten der Pandemie waren ein besonders gutes Feld zur Beobachtung des Umgangs mit Ambiguität und Ungewissheit.

Angesichts dieser Situation stellt sich der Praktischen Theologie eine ganze Reihe von Fragen: Welche Rolle spielen religiöse Praktiken im Kontext der Ambiguitätsbearbeitung? Wie ambiguitätsaffin ist das Christentum und wie geht die Theologie selbst mit Mehrdeutigkeiten um?

 

  • Empirische Forschung und Theologie

Im Zuge eines Practice Turn der Katholischen Theologie rücken sozialwissenschaftliche Forschungs­methoden immer stärker in den Fokus. Innerhalb des theologischen Diskurses haben sich vor allem die praktisch-theologischen Fächer um eine adäquate Adaptierung der sozialwissenschaftlichen Methoden sowie um die notwendige epistemologische Theorieentwicklung verdient gemacht, dennoch sind immer noch viele methodische und methodologische Fragen offen die einer Klärung bedürfen; etwa das methodologische Zueinander von empirischen Erkenntnissen und theologischer Interpretation. Diesen Fragen widmet sich ein Teil unserer Forschung, wobei ein Schwerpunkt auf den Möglichkeiten zur empirischen Erhebung des Doing-Theology, also der Entstehung und Weiterentwicklung von Theologien – sowohl akademischen als auch alltäglichen und sog. „ordinary theologies“ – liegt.

 

  • Wandel christlicher Rituale

Rituale erscheinen als grundlegende und bleibend aktuelle Ausdrucksformen des Menschen, die sich – entgegen mancher Prognosen im 20. Jahrhunderts – auch heute einer enormen Nachfrage erfreuen. Zugleich ist eine bemerkenswerte Verschiebung des Verständnisses von Ritualen erkennbar: Es vollzieht sich ein tiefgreifender Wandel der Bedeutung von Ritualen fort von ‚Ritualen als Ausdruck der Bindung an eine bestimmte Tradition‘ und hin zu ‚Ritualen als Ausdruck von Individualität‘. Das Ritual wird immer mehr dem einzelnen Menschen angepasst und unterliegt dabei vielfach der Logik des Singulären. Dies ist besonders für die Riten- und Sakramentenpastoral der christlichen Kirchen von großer Bedeutung. Diese wird vor neue Herausforderungen und Fragen gestellt, so z.B. im Zusammenhang mit Möglichkeiten und Grenzen der individuellen Anpassung von Ritualen oder im Kontext der Ritenvorbereitung und -begleitung.